Richtig Streiten will gelernt sein

Gastbeitrag von Rechtsanwältin Mag. Katharina Braun
Mein Spezialgebiet ist das Familienrecht, daher habe ich fast täglich mit Scheidungen zu tun. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass die schlimmsten Scheidungen diejenigen sind, wo immer alles nach außen harmonisch wirkte – bis dann das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen gebracht wird.
So wie bei der Geschichte mit den Cornflakes: ein Mann stellte seiner Frau während der gesamten Ehe jeden Morgen eine Schüssel Cornflakes auf den Frühstückstisch. Er stand dafür extra früh auf, um ihr das Frühstück zuzubereiten. Das machte er seit ihren Flitterwochen, weil sie so verzückt von dieser Geste war. Allerdings sagte sie ihm nie, dass sie Cornflakes eigentlich hasste.
So stauen sich oft aus kleinen Missverständnissen im Laufe der Zeit unüberwindliche Differenzen auf, die oft in Vergeltungsschlägen und einer hässlichen Scheidung enden.
Überleg doch mal: wann hattest du in deiner Partnerschaft zuletzt eine Diskussion, auf die ihr euch beide eingelassen habt, wo ihr gegenseitig aufmerksam zugehört habt und neue Erkenntnisse oder Einsichten gewonnen habt?
Gesellschaft ist von Toleranz anderer Meinungen weit entfernt
Ich höre oft von Mandantinnen: „Eine Absicherung ist mir schon wichtig, aber bitte nur keine Auseinandersetzung mit meinem Mann“. Das kommt mir vor die Aufforderung „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“.
Die Streitkultur in unserer Gesellschaft liegt im Argen. Egal, wo man in Social Media hinschaut, welche Zeitung man aufschlägt oder welchen Nachrichtensender man aufdreht: es herrscht ein ausgeprägtes Schwarz/Weiß-Denken: Linkswähler gegen Rechtswähler, Raucher gegen Nichtraucher, Männer gegen Frauen. Man ist entweder füreinander oder gegeneinander. Dazwischen gibt es nichts.
Wer Sachverhalte hinterfragt oder auch mal aus einer anderen Perspektive beleuchten möchte, wird oft abgekanzelt und vorverurteilt. Andere Meinungen werden nicht toleriert, neue Denkansätze sind fehl am Platz. Es zeigt sich eher eine „Diktatur“ des Mainstreams, was für freies Denken und kritisches Hinterfragen nicht sehr förderlich ist.
Viele haben schlichtweg verlernt, konstruktiv zu streiten…oder es vielleicht auch nie gelernt. Eine gute Sache wäre, wenn Diskussionskultur bereits in der Schule unterrichtet werden würde.
Wir meinen meist, dass die Art, wie wir die Dinge sehen, die einzig Richtige ist. Daher nehmen wir die Deutungshoheit für uns selbst in Anspruch. Jede andere Ansicht verstehen wir als Angriff.
Tolerant ist man nur dort, wo es einem nicht wurscht ist.
Diskussionen können eine Partnerschaft vertiefen
Ich gebe zu: privat ist auch mir Streit unangenehm. Mit den Jahren habe ich mich jedoch dazu diszipliniert, mich auf Auseinandersetzungen einzulassen. Werden Konflikte oder Meinungsunterschiede ausgetragen, kann das einer Beziehung Tiefe und Verbundenheit verleihen.
Die deutsche Mediatorin Juliane Wünschmann bringt es auf den Punkt:
„Streit ist immer auch eine Form des Kontaktes. Solange wir miteinander streiten, reden wir miteinander. Wenn das nicht mehr stattfindet, so liegt es nicht daran, dass wir nichts mehr zu streiten hätten. Sondern dass wir uns erlauben, den Kontakt zu verlieren und damit härter, uneinsichtiger und unnachgiebiger und ja, unvernünftiger in der Sache zu werden. Je weniger Kontakt wir pflegen, desto mehr wird Wut zum Problem – weil sie sich als Hass artikuliert.“
Andere Meinungen zulassen, sich in die Lebenssituation des Gegenübers einfühlen, konstruktive Kritik annehmen können – das sind Fähigkeiten, die in unserer Gesellschaft auf der Strecke zu bleiben scheinen.
Viele Kontakte werden nach einer Verletzung lieber abgebrochen, bevor man sich auf einen Konflikt einlässt. So vergibt man aber die Chance, den Konflikt aus der Welt zu schaffen.
Übung macht den Meister – Streiten ist erlernbar
AnwältInnen sind natürlich sehr oft mit Konflikten konfrontiert. Wir müssen jedoch bedenken, dass Streiten und Diskutieren für uns zwar Routine sind, für die KlientInnen aber neue und hochemotionale Situationen.
Bei einem meiner Fälle verhandelten wir schon sehr lange eine Scheidungsvereinbarung. Kurz vor Abschluss verweigerte die Frau die finale Unterschrift, sie wolle zuerst eine Entschuldigung von ihrem Mann. Ihr fehlte dieser emotionale Akt, um die Scheidung finalisieren zu können. Erst als der Mann sich entschuldigte, konnte die Scheidung vollzogen werden.
Generell scheinen Männer einfacher mit der nüchternen „Rechtssprache“ umzugehen als Frauen.
Aber es gibt nicht nur geschlechterspezifische Unterschiede: ich stelle immer wieder große, kulturelle Verschiedenheiten fest, wenn es um Emotionen und Konflikte geht. Südländische Klienten fordern von ihrem Anwalt eine viel größere Bandbreite an Emotionen. Die sachliche Nüchternheit vor Gericht empfinden sie als Gleichgültigkeit.
Oft kommuniziert man auf unterschiedlichen Ebenen oder aneinander vorbei, wie in diesem Fall: Ein Klient warf mir vor, nicht auf ihn einzugehen. Ich verstand nicht, warum er meine Fragen, welche ich ihm in E-Mails stellte, nicht beantwortete oder die geforderten Unterlagen nicht schickte. Es stellte sich heraus, dass das nüchterne Rechtsdeutsch ihn überforderte und er daher meine E-Mails nie zu Ende las.
Es braucht Sicherheit, um zuhören zu können, aber auch, um frei über die eigene Position zu sprechen. In unserer Leistungsgesellschaft empfinden viele Kritik als Zurückweisung. Für einen guten Streit bedarf es einer reifen Konfliktkultur. Eine gut entwickelte Diskussionskultur wäre für unsere Gesellschaft sehr wichtig und würde uns viel bringen.
Buchtipps
„ Wir müssen reden“ von der ORF Journalistin Susanne Schnabl
Streit! Eine Aufforderung von Meredith Haaf
Über die Autorin
Rechtsanwältin Mag. Katharina Braun steht ihren Klienten mit ihrer langjährigen juristischen Praxiserfahrung im Ehe- und Familienrecht zur Verfügung. Sie setzt auf die Verbindung von Recht, Kreativität und Medien.