Introvertiert und selbständig: Geht das überhaupt zusammen?
Ich bin introvertiert und selbständig…seit 2003! Also, ja, es geht zusammen und zwar sehr gut, wie ich finde.
Als ich damals vom Angestelltsein in die Selbständigkeit wechselte, kamen von Freunden und Familie zahlreiche Unkenrufe: „Glaubst du wirklich, dass du zur Unternehmerin taugst, so ruhig wie du bist?“, „Wie wirst du mit deiner Zurückhaltung Kunden akquirieren?“ oder „Wenn du nicht laut die Werbetrommel rührst, wird das doch nichts“…
Wenn du auch schon solche Sätze gehört hast oder dir diese Gedanken manchmal durch den Kopf schwirren, dann lies hier weiter. Hier kommt ein Plädoyer für leise Unternehmerinnen.
Bist du introvertiert?
Hast du schon öfters im Bekanntenkreis die Sätze „Trau dich doch mal“, „Sei doch nicht immer so ruhig“ oder „Komm doch einfach mal aus dir raus“ gehört…dann stehen die Chancen gut, dass du introvertiert bist.
Ein weiterer Kurztest funktioniert so: Wie feierst du gerne deinen Geburtstag? Extrovertierte planen gerne eine große Party zu ihrem Geburtstag, haben kein Problem, der Bedienung im Restaurant von ihrem Ehrentag zu erzählen und eine mit Gesang überreichte Geburtstagstorte zu bestellen, sie inszenieren gerne ein Happening, bei dem sie im Mittelpunkt stehen.
Introvertierte hingegen verstecken gerne die Tatsache, dass sie Geburtstag haben, mögen keine Überraschungsparties und finden nichts peinlicher als Servicepersonal, das laut „Happy Birthday“ zu ihren Ehren singt. Das Beispiel ist natürlich überzeichnet und klischeehaft, ein Körnchen Wahrheit steckt aber dahinter.
Aber was heißt „introvertiert“ eigentlich genau?
Introvertiert bedeutet „nach innen gekehrt“. Im sozialen Umfeld verhalten sich introvertierte Menschen eher still, zurückhaltend und passiv. Sie beschäftigen sich eher mit ihrem inneren Seelenleben als mit der Kommunikation nach außen.
Die Persönlichkeitsmerkmale Introversion und Extraversion stammen vom Psychiater C.G. Jung. Er definierte Introvertierte als Menschen, die ihre Energie nach innen richten, während Extravierte ständig mit dem Außen in Kontakt treten. Diese Innenausrichtung ist darauf zurückzuführen, dass Introvertierte sehr empfindlich auf externe Signale reagieren und sie sich, zum Schutz vor Reizüberflutung, „abkapseln“.
Es ist ein Mythos, dass Extrovertierte ein Unternehmen besser führen können
Was zeichnet erfolgreiche Unternehmer aus? Es ist nicht das Marktgeschrei oder der Trommelwirbel, den sie rund um sich oder ihr Produkt inszenieren. Es ist die Fähigkeit, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen. Diese beiden Disziplinen können Introvertierte mindestens genauso gut, wenn nicht sogar besonders gut ausfüllen. Hier eine Erklärung, warum das so ist.
1. Probleme lösen: Introvertierte sind besonders gute Zuhörer…und zwar aktive Zuhörer. Leise Charaktere wollen sich nicht vorrangig mitteilen, sondern konzentrieren sich voll und ganz auf das, was das Gegenüber sagt. Der Gesprächspartner bekommt dadurch das Gefühl, dass er verstanden wird und es sich um sein Problem/seine Bedürfnisse dreht. Außerdem kann der aktive Zuhörer aus dem Gesagten heraushören, wo der Schuh drückt und daher sein Angebot genau darauf ausrichten.
2. Entscheidungen treffen: Zugegeben, introvertierte Menschen sind nicht dafür bekannt, besonders schnell zu einer Entscheidung zu kommen. Sie beleuchten gerne ausgiebig das Für und Wider, beziehen alle mögliche Szenarien mit ein, wägen Risiken ab…und treffen dann eine Entscheidung, die Hand und Fuß hat.
Besonders hervorzuheben ist die Fähigkeit von Introvertierten, sich schnell an geänderte Rahmenbedingungen anpassen zu können. Durch ihre feinfühligen Antennen bekommen sie Änderungen besonders schnell mit und können darauf reagieren. Das ist ein wichtiges Kriterium, um im Business des 21. Jahrhunderts bestehen zu können.
Erfolgstipps für ruhige Unternehmerinnen
1. Arbeite mit deinen Stärken
Bau dir ein Business in einem Bereich auf, in dem du wirklich gut bist. Schreibst du gerne? Bringst du gerne anderen etwas bei? Bist du super im Recherchieren? Arbeitest du gerne in einer 1:1 Situation mit Menschen? Bist du kreativ und innovativ? Mache etwas, wo diese Fähigkeiten gebraucht werden. Halte dir deine Stärken immer wieder vor Augen. Führe am besten eine Erfolgsliste: mit Erfolgen, die du aufgrund deiner Stärken erreicht hast.
Vermeide hingegen Dinge, die dir gar nicht liegen. Bekommst du einen Schweißausbruch, wenn du vor einer großen Gruppe sprechen musst? Hasst du Networking-Events? Magst du keine Selfie-Videos drehen? Dann lass es einfach bleiben. Nur weil alle derzeit darauf schwören, muss es nicht dein Weg sein.
2. Ergänze deine Schwächen
Du weißt, dass dir Sales und Kundenakquise nicht liegen? Dann versuche einen Businesspartner zu finden, der genau diesen Part übernimmt. Extratipp: Introvertierte und Extrovertierte ergänzen sich oft sehr gut zu einem gemeinsamen Team. Es muss auch nicht gleich ein Businesspartner sein, oft kann man Tätigkeiten, die einem nicht so liegen, an einen Freelancer oder eine Virtuelle Assistentin auslagern.
Auch durch entsprechendes Training kann man an den Schwächen arbeiten, denn oft werden die Ängste durch viel Praxis kleiner. Je öfter du vor Gruppen sprichst, desto leichter wird es dir irgendwann fallen.
3. Lade regelmäßig deine Batterien auf
Extrovertierte laden ihre Batterien in der Begegnung mit anderen Menschen auf, Introvertierte hingegen tanken Kraft in der Ruhe. Sie brauchen regelmäßig diese Ruhepausen, weil sie sonst von all den Reizen überflutet werden.
Versuche daher nicht den Hauptteil deiner beruflichen Tätigkeit in einem Großraumbüro zu verbringen. Du brauchst einen Rückzugsort, wo du deine Tür schließen kannst und einfach deine Ruhe findest. Das heißt nicht, dass du unbedingt alleine arbeiten musst…auch das Arbeiten in einem Coworking-Space kann dich inspirieren…aber halt nicht durchgehend. Optimal wäre ein eigener Arbeitsbereich mit angeschlossenen Meetingzonen, wo du Kontakte pflegen kannst, wenn du es willst.
Schau auch bei deinem Terminkalender, dass du ihn nicht mit einem Meeting nach dem anderen und Gruppenevents füllst, sondern plane auch genügend Zeit für dich mit ein. Gehe zum Beispiel in der Mittagspause lieber alleine in den nahegelegenen, ruhigen Park anstatt in das überfüllte Szenelokal. Danach bist du wieder aufgeladen und fit für den restlichen Arbeitstag.
4. Ruhig erfolgreich in Meetings
Die ruhigen Unternehmer werden in Meetings und Konferenzen gerne mal übersehen oder überhört. Bereite dich daher auf Meetings gut vor. Das ermöglicht dir, darüber nachzudenken, was du sagen möchtest. Denn Introvertierte mögen es gar nicht, wenn sie unvorbereitet in die Öffentlichkeit gedrängt werden. Schreibe dir deine Ideen und Vorschläge in einer Notizfunktion auf oder bereite eine Präsentation vor, so hast du einen Leitfaden, an dem du dich orientieren kannst.
Finde den richtigen Zeitpunkt, um dich im Meeting einzubringen. Viele kostet es Überwindung, andere Meetingteilnehmer zu unterbrechen. Überlege dir also vorher schon Sätze, mit denen du dein Statement einleiten kannst: „Es wurden heute schon sehr interessante Vorschläge präsentiert. Ich habe mir folgende Gedanken gemacht, die ich gerne mit euch teilen möchte…“ „Herr Maier, Ihre Idee finde ich sehr gut. Mein Vorschlag wäre…“
5. Halte dir vor Augen: du bist nicht allein
Wenn man durch die sozialen Medien surft, könnte man den Eindruck gewinnen: die Welt gehört den Lauten. Ihnen gelingt es leichter, viele Menschen anzuziehen und diese zu führen…denn daraus ziehen sie ihre Energie.
Es liegt in der Natur der Sache, dass man von leisen Unternehmern einfach weniger hört oder sieht, denn sie suchen weniger das Rampenlicht. Das heißt aber nicht, dass es diese nicht gibt. Ganz im Gegenteil. Es gibt sogar zahlreiche prominente Beispiele von introvertierten Unternehmern: Bill Gates, J.K. Rowling, Mark Zuckerberg, Emma Watson…
Und gerade in die Selbständigkeit zieht es viele Introvertierte, denn sie fühlen sich von dem Ausmaß an Freiheit, Unabhängigkeit und Kreativität magisch angezogen.
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